Anerkennen, was ist

Anerkennen, was ist
– ein Leitprinzip der Aufstellungsarbeit

„Anerkennen, was ist“ ist ein Leitprinzip der Aufstellungsarbeit, das schon Bert Hellinger in seiner grundlegenden Bedeutung für Lösungsprozesse erkannt und beschrieben hat (vgl. Bert Hellinger: „Anerkennen was ist“. München, 1996.) Es geht darum, die oftmals uneingestandenen, verdrängten oder tabuisierten emotionalen und sozialen bzw. systemischen Verhältnisse als gültig und d.h. wirksam, anzunehmen, um auf dem Boden dieser Wirk-lichkeit (wieder)  handlungsfähig zu werden, statt sich an illusionäre Wünschen und Vorstellungen zu klammern.

Wir verschließen oft die Augen vor der Wirklichkeit

Wir Menschen verschließen aus vielfältigen Gründen oft die Augen vor der Wirklichkeit, dem „was ist“: Wir wollen Dinge, z.B. Trennungen oder Tod nicht wahr haben oder verstellen uns und nehmen unpassende Beziehungsangebote an. Wir tun dies vielleicht sogar mit guten Absichten: aus Rücksicht, Mitleid oder Liebe. Eigentlich aber schwächt, überfordert und belastet uns dies. Und es erfordert Kraft und Mut, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen und sie zu benennen: Klare Grenzen zu setzen und eigene Emotionen deutlich auszudrücken.

So konstruieren wir für uns und unser Umfeld dann manches Mal eine Scheinwirklichkeit, nach der wir unser Streben, unsere Ziele sowie unser Handeln, Denken und Fühlen ausrichten. Und die Anderen spielen dieses Spiel – oftmals sogar unwissend – mit.

Anerkennen, was ist als Kernintervention in Aufstellungen

Dementsprechend ist eine Kernintervention bei Aufstellungen, das unverblümte, furchtlose und vorurteilslose Hinschauen, was ist und was gewesen ist. Dies ist die phänomenologische Grundhaltung aus der heraus die Leitung Aufstellungen begleiten sollte und es ist auch dieses unverblümte Hinschauen und Aussprechen der unmittelbar erfahrbaren Wirklichkeit – jenseits von allen Spielen und Konzepten – , die in Aufstellungen löst:

„Schau hin! Schau ihn an und atme!
Nimm die Information, die über diesen Kontakt kommt, ganz an!“, 
ist so meiner Ansicht nach auch eine der wirksamsten Interventionen in Aufstellungen. Auch die Lösungssätze, die man KlientInnen sprechen lässt, bestehen meist eben in diesem Aussprechen von inneren Wahrheiten der Systemmitglieder, etwa: „Ich vermisse dich!“, „Es ist zu Ende!“, „Schade“. „Ich bin nur das Kind!“. 

„Was ist“ sind innere (emotionale) und systemische Wahrheiten

Allerdings muss man hier ein wenig differenzieren: Die Wahrheiten, die in Lösungssätzen oft ausgesprochen werden, sind ja gerade nicht die gelebten, sondern die als stimmig gefühlten inneren und verborgenen Wahrheiten: Die Verhältnisse und Beziehungen, wie sie nach einer systemischen guten Ordnung sein sollten (> Ordnungen der Liebe).

So spricht und man mit dem Lösungssatz: „Ich bin nur das Kind, die Kleine! Du bist die Mutter, die Große!“ eine ideale Beziehungshierarchie von Kind und versagendem Elternteil aus und etabliert so im eigenen Erleben wieder ein inneres Bild der idealen Mutter-Kind-Beziehung, das in der Kindheit der betreffenden Personen oftmals so nicht gelebt wurde, weil die Tochter sich für eine leidende Mutter verantwortlich gefühlt hat und in eine Erwachsenenposition gegangen ist.

Anerkennen bedeutet also die inneren (emotionalen) und systemischen Wahrheiten ungeschminkt sehen und öffentlich in einer Aufstellung, d.h. also auch vor Zeugen (!) aussprechen und damit vor sich und anderen zuzugeben.

Lösung als Aufgeben von Scheinwirklichkeiten

Dies ist dann die Lösung als eine Loslösung, ein Aufgeben von blockierenden und belastenden Arten in Beziehung zu gehen, sich selbst zu sehen oder seine Emotionen zu regulieren. Man gibt so energieraubende und wirklichkeitsverzerrende Versuche, die eigene emotionale oder systemische Wahrheit zu leugnen auf.

Dadurch wird der Ratsuchende wieder handlungsfähig und authentischer. Er kommt wieder auf den Boden der Wirklichkeit an, der eigenen und der seines Beziehungssystems. Die nun realistischen, möglichen Schritte und Wege werden so erkennbar und die Energie dafür wird frei.

 

Quellen:

  • Bert Hellinger: „Anerkennen was ist“. München, 1996.
  • Pierre Frot: „Lexikon des Familienstellens und der Systemischen Aufstellungsarbeit“, Darmstadt 2013. ( Stichwort „Anerkennung“)

 

Ähnliche Einträge